Faszien – eine geheimnisvolle Welt des menschlichen Körpers

Seit einiger Zeit übernimmt das Wort Faszie im Gesundheitsbereich immer mehr Artikelüberschriften, Buchtitel, Namen von „Therapie“ – Geräten und Kursthemen wie Faszien-Yoga, Faszientraining, etc. ein. Doch was steckt hinter diesem initial abstrakten Begriff „Faszie“? Der Suchbegriff Faszie erzielt bei Google rund 207.000 Ergebnisse. Von Begriffsdefinitionen bis zu Ausbildungsangeboten zum „Faszien-Therapeut“, ist alles zu finden.

Unter dem Begriff Bindegewebe können sich höchstwahrscheinlich mehr Personen etwas vorstellen. Faszien sind Strukturen aus Bindegewebe, die genau das machen, was deren Name schon verrät – Gewebe verbinden.

Bindegewebe lässt sich überall in unserem Körper finden. Haut, Knochen, Sehnen, Zehennägel und auch die Ohrmuschel enthalten unzählige bindegewebige Bestandteile, die ihnen ihre Form geben.

Das alles verbindende myofasziale Netzwerk

Das Wort „Myo“ steht für Muskelgewebe und „Faszie“, wie bereits erwähnt, für Bindegewebe. Somit lässt sich die Myofaszie grob zu einer Muskelhülle vereinfachen, die alle Muskeln in unserem Körper miteinander verbindet. Es kommt somit zu einer gegenseitigen Beeinflussung von myofaszialem Netzwerk und Muskeln im menschlichen Körper. Dieses Netzwerk hat Auswirkung auf die Art und Weise, wie wir uns im Alltag bewegen oder wie wir zu sportlichen Höchstleistungen gelangen.

Eine suboptimale Beanspruchung kann der Nährboden für Konsequenzen wie Schmerzen und Bewegungseinschränkungen sein.

Verbunden und nicht isoliert

Unser herkömmliches Denkmuster von Bewegung und Funktion des körperlichen Muskel-Skelett-Komplexes basiert auf physikalischen Gegebenheiten, die wir in unserer Umwelt beobachten können. Hebel, Vektoren, Newton’sche Axiome hier und dort.

Den menschlichen Körper mit diesen Gesetzen berechnen zu wollen, ist aber nicht ganz so einfach. Sich mit isolierten Muskelfunktionen zufrieden zu geben (z.B. der vordere Oberschenkelmuskel = Kniestrecker), anhand der Annäherung von Ursprung und Ansatzes des Muskels, reicht nicht aus.

Myofascial Lines Thomas Myers book ‚Anatomy Trains‘

Hier ein Beispiel dazu. Die (Zug-) Belastung und Spannung der Rückenmuskulatur geht mittels der weiterlaufenden Faszienvernetzung über in die feste Bindegewebsschicht des Lendenwirbelsäulen-Beckenübergangs. Von dort in die Gesäßmuskulatur, die seitlich am Oberschenkel in den festen Faserzug des Tractus Iliotibialis (großflächiger Sehnenfaserstrang seitlich am Oberschenkel der mit der gesamten Oberschenkelmuskulatur vernetzt ist) weiterläuft, dann über das Kniegelenk in die Schienbeinmuskulatur übergeht und schlussendlich Richtung Sprunggelenk und Fuß zieht.

Isolierte Muskelfunktionen zu kennen, ist wichtig, doch das Gesamtbild zu erkennen, das ist die Kunst. Ein lokaler Schmerz bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Ursache auch genau dort liegt.

Zellen + Matrix = Bindegewebe

Menschliches Gewebe lässt sich in vier Haupttypen einteilen:

  1. Nervengewebe (Impulsweiterleitung)
  2. Muskelgewebe (Kontraktion)
  3. Epithelgewebe (Sekretion & Absorption)
  4. Bindegewebe (Stützfunktion, Formgebung, Stoffwechselfunktion)

Jeder Zelltyp hat die gleichen Grundfähigkeiten. Entscheidend, welche Funktion eine Zelle übernehmen wird, ist die Belastung und das Milieu, in dem sie sich befindet. Zellen auf die Zugbelastung wirkt, werden eher zu Sehnengewebe, Orte an denen viel Druckbelastung auftritt benötigen vermehrt Knorpelzellen.

Das in diesem Artikel besprochene Bindegewebe hat zwei Hauptbestandteile: Zellen und Matrix.

Zellen bestehen aus dem Zellkern (in dem unsere DNA beherbergt ist) und vielen Zellorganellen, die jeweils ihre eigenen Aufgaben haben und durch das sogenannte Zytoskelett miteinander in Verbindung stehen.

Geschützt sind die Zellen durch eine Membran. In dieser Membran befinden sich bestimmte Proteine (Integrine), die sich in die extrazelluläre Matrix fortsetzen. Diese Matrix außerhalb der Zelle besteht wiederum aus bestimmten Fasern, Grundsubstanz, Wasser, usw.. Die Matrix verbindet die umliegenden Zellen miteinander, sodass ein großes, zusammenhängendes und dynamisches Netzwerk entsteht. Die 3 größten Netzwerke unseres Körpers sind das Nerven-, Kreislauf- und Fasziennetz.

Sowie Gehirn, Rückenmark und periphere Nerven von bindegewebigen Hüllen umgeben sind, sind es auch unsere inneren Organe und Muskeln.

Unsere Organe sind simpel gesagt in Bindegewebstaschen in unserer Bauchhöhle „aufgehängt“ und durch Bänder fixiert. Ähnlich wie unsere Muskeln in Bindegewebshüllen verpackt sind und über Sehnen in ein anliegendes Gewebe übergehen (z.B. Gelenkskapsel).

Faszien an Muskelfaser © Thomas Stephan

Diese Hüllen gewährleisten eine Verschiebbareit der „Tascheninhalte“ zueinander, damit wir uns frei bewegen können, ohne dass diese Inhalte zu grob aneinander reiben und womöglich Schaden davon tragen. Zusätzlich ermöglicht dieses Verbindungsnetzwerk des Fasziensystems den Transport von Nährstoffen zu den Zielregionen und den Abtransport von Stoffwechselendprodukten, die nicht mehr gebraucht werden und dient ebenfalls dazu um Energie in Form von Bewegung weiterzuleiten oder abzufangen.

Auswirkungen von Bewegung und Belastung auf das Fasziensystem

Bindegewebe und Faszien sind äußerst anpassungsfähig. So wie ein Muskel durch Training kräftiger wird, verdichten sich Bindegewebszellen an Stellen wo viel Belastung einwirkt, um mehr Stabilität herzustellen. Dies kann einerseits positive aber auch negative Auswirkungen mit sich ziehen. Eine langanhaltende Belastung in nur eine Richtung kann zu Einschränkungen und Beschwerden in die andere Richtung führen.

Wichtig zu wissen ist, dass langanhaltende Belastung auch wirklich langanhaltend bedeutet.

Faszienanpassung passiert über Tage, Wochen und Monate. Einmal 10 Minuten krumm vor dem Laptop zu sitzen, wird nicht dazu führen, dass dies nun die neue Normalstellung des Körpers ist. Sitzt man jedoch jeden Tag mehrere Stunden ohne Pause, so kann es zu Anpassungen des ganzen Fasziensystems in all seine weiterlaufenden Richtungen kommen. Dies beinhaltet zudem die Tatsache, dass die Umkehr dieser suboptimalen Anpassungserscheinungen und somit veränderten Bewegungs- und Haltungsmuster bis zum wiedererlangten „Normalzustand“ unseres Körpers oft genauso lang benötigt, aber mit den richtigen Behandlungs- und Trainingsansätzen auch wieder hergestellt werden kann.

Die bisherig erlangeten Erkenntnisse über unser Fasziensystem zeigen, dass in dem bisher wenig beachteten Bindegewebe die Ursache unerklärbarer Krankheitsbilder und Schmerzen liegt, aber sich auch ein unerschöplicher Quell der Heilung findet.

Quelle: u.a Myers, T. (2015) ​Anatomy Trains​ (3. Auflage). München: Elsevier