Rückenschmerz-Mythen – Teil 2/3

4. Bei Rückenschmerzen ist immer ein Röntgen oder MRT erforderlich

Das ist teilweise korrekt. Hat man den Verdacht auf eine ernste Pathologie (Knochentumor, Fraktur, Muskellähmungen usw.) ist ein Röntgen bzw. MRT Goldstandard in der Diagnostik und medizinisch unumgänglich.

Allerdings ist die Bilddiagnostik bei neu aufgetretenen nichtspezifischen Rückenschmerzen nur selten hilfreich und kann sogar negative Folgen haben (Schiltenwolf & Schwarze, 2020).

Seit der Einführung von Magnetresonanztomographien sind die Kosten des Gesundheitssystems massiv gestiegen. Grund dafür dürfte unter anderem der Nocebo-Effekt sein, der besagt, dass das Wissen um eine etwaige Pathologie im MRT schmerzauslösend- bzw. verstärkend oder verursachend sein kann (Emery, Shojania, Forster, Mojaverian, & Feasby, 2013).

Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass es sehr viele asymptomatische Personen mit Bandscheibenvorfällen oder anderen „Wirbelsäulenschädigungen“ in der Bevölkerung gibt. In einer japanischen Studie mit 1211 gesunden ProbandInnen wiesen 87,6% einen Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule auf. Sogar bei 75,65% der Menschen im Alter von 20-30 Jahren fanden die Autoren einen Bandscheibenvorfall (Nakashima et al., 2015). Blickt man auf die Lendenwirbelsäule kommen Boden et al. auf ähnliche Resultate. Bei asymptomatischen ProbandInnen im Alter von 60-80 Jahren hatten 79% einen Bandscheibenvorfall (Boden, Davis, Dina, Patronas, & Wiesel, 2014).

Physio-Freudensprung-Mythen

5. Bei Rückenschmerzen muss man natürlich die Rückenmuskulatur kräftigen

Jein. Zwar spielt die tiefe Rückenmuskulatur eine bedeutende Rolle zur Stabilisierung der Wirbelsäule. Allerdings nicht ausschließlich. Auch die Rumpfmuskulatur, das Zwerchfell und die Beckenbodenmuskulatur sind für die Stabilisierung der Wirbelsäule höchst relevant (Arab, Behbahani, Lorestani, & Azari, 2010; Chang, Lin, & Lai, 2015). Oft wird vergessen, diese Muskeln mit zu trainieren, es kommt zu muskulären Dysbalancen und die Rückenschmerzen bleiben aufrecht. Durch ein individuell angepasstes Trainigsprogramm für die oben angeführten Muskelgruppen können Rückenschmerzen gelindert werden.

6. Bei Rückenschmerzen ist die Rückenmuskulatur verkürzt

Häufig kommt der gut gemeinte Ratschlag: „Um Schmerzen in der Wirbelsäule zu beseitigen, musst du deine Rücken- bzw. Nackenmuskeln dehnen.“ Das ist im Grunde ein Mythos. Zwar können statische Dehnungsübungen lindernd wirken, jedoch helfen gelenksmobilisierende dynamische Dehnungsübungen deutlich besser (Phadke, Bedekar, Shyam, & Sancheti, 2016). Häufig führen zum Beispiel versteckte Schulter- oder Hüftgelenkseinschränkungen in weiterer Folge zu Schmerzen in der Hals-, Brust- bzw. Lendenwirbelsäule, da der Körper die fehlende Mobilität nicht mehr ausreichend kompensieren kann. Aus diesem Grund untersuchen PhysiotherapeutInnen und OsteopathInnen immer auch angrenzende Gelenke, um Dysfunktionen aufzuspüren und diese individuell und gezielt mithilfe von Gelenksmobilisationen zu beseitigen.

Quellen:

Schiltenwolf, M., & Schwarze, M. (2020). Diagnostik und Therapie von Rückenschmerzen: Was ist empfehlenswert? Was sollte unterbleiben und warum wird es dennoch gemacht? Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 63(5), 527–534. https://doi.org/10.1007/s00103-020-03121-y

Emery, D. J., Shojania, K. G., Forster, A. J., Mojaverian, N., & Feasby, T. E. (2013). Overuse of Magnetic Resonance Imaging. JAMA Internal Medicine, 173(9), 823–825. https://doi.org/10.1001/jamainternmed.2013.3804

Nakashima, H., Yukawa, Y., Suda, K., Yamagata, M., Ueta, T., & Kato, F. (2015). Abnormal Findings on Magnetic Resonance Images of the Cervical Spines in 1211 Asymptomatic Subjects. Spine, 40(6), 392–398. https://doi.org/10.1097/BRS.0000000000000775

Boden, S. D., Davis, D. O., Dina, T. S., Patronas, N. J., & Wiesel, S. W. (2014). Abnormal Magnetic-Resonance Scans of the Lumbar Spine in Asymptomatic Subjects. A Prospective Investigation. Classic Papers in Orthopaedics, 245–247. https://doi.org/10.1007/978-1-4471-5451-8_60

Arab, A. M., Behbahani, R. B., Lorestani, L., & Azari, A. (2010). Assessment of pelvic floor muscle function in women with and without low back pain using transabdominal ultrasound. Manual Therapy, 15(3), 235–239. https://doi.org/10.1016/j.math.2009.12.005

Phadke, A., Bedekar, N., Shyam, A., & Sancheti, P. (2016). Effect of muscle energy technique and static stretching on pain and functional disability in patients with mechanical neck pain: A randomized controlled trial. Hong Kong Physiotherapy Journal, 35, 5–11. https://doi.org/10.1016/j.hkpj.2015.12.002